Montag, 15. April 2024

Durchsetzungspunkt Gummistiefel



Vortrag. Eine Mutter fragt mich: "Heute wollte meine dreijährige Tochter partout ihre Gummistiefel nicht ausziehen. Was soll ich machen?"

Beim Vortrag komme ich auf den Durchsetzungspunkt zu sprechen. Die Eltern wollen sich nicht so gern - genauer: extrem ungern - durchsetzen, wenn sie ihre Kinder dabei nicht "mitnehmen" können, wie das so schön heißt. Sie wollen, dass die Kinder bei den Elternentscheidungen mitmachen, mitziehen, einsehen, Widerstand aufgeben. Dass es also ohne Streit und Geschrei, Tränen und Leid ausgeht.

Noch mehr Gespräche, noch mehr Werben, noch mehr Mitnehmen. Die Eltern wollen von mir hören, wie es denn gelingen kann, dass die ganze Durchsetzerei gut ausgeht. "Ja Mama, dann zieh ich die Stiefel aus". So soll es sein.

Wenn alle Einigungsbemühungen nichts bringen... - klar, da kann man zulegen, Sonne scheinen lassen, Seminare besucht haben, grad gut drauf sein, schlau, listig, hinterlistig vorgehen. Wenn das aber alles nichts hilft, dann soll ich das Zaubermittel haben. Habe ich aber nicht.

Dann geht es um "Du oder ich", Stiefel aus oder Stiefel an. Und wenn die Mutter den Dreck nicht im Flur und auf dem Teppich haben will, muss sie - sich durchsetzen. Die Stiefel von den Füßen kriegen - wobei "kriegen" heißt: gegen den Willen des Kindes entfernen, von den Füßen abziehen bis runterreißen. 

Wie das geht? Mit dem entsprechendem Mittel. Machtmittel Körpermacht: handgreiflich, Kind und Fuß festhalten und ziehen. Mit dem Machtmittel Psychomacht könnte das Kind auch selbst tun, was es soll: Erfolg per Druckstimme, Ekelton, bösem Blick.

"Geht das nicht auch anders?" - und dann erzählen die anderen Eltern davon, wie sie es schaffen würden, friedlich, mit Einigung, "mitnehmend" eben. Ich halte dagegen: "Es ist aber grade nicht zu schaffen. Die Stiefel sind jetzt stellvertretend für alles Mögliche. Und es wird in Ihrem Alltag immer wieder passieren, dass es keinen Frieden gibt. Dass Sie sich durchsetzen, mit Ihren Machtmöglichkeiten, auch mit körperlicher Macht."

"Wobei, auch klar" - das sage ich dann schon noch - "Sie sich ja nicht immer durchsetzen müssen. Sie können auch nach- oder aufgeben und hinnehmen oder akzeptieren, dass das passiert, was Ihr Kind will. Also Dreck auf dem Teppich. Aber wer will das schon. Sie werden sich durchsetzen."

Ich sage dann, dass die Eltern sich keinen Vorwurf machen müssen. "Wenn Sie beim Durchsetzen Ihren Kindern auch Leid zufügen: das gehört dazu, das lässt sich nicht ändern, und dafür müssen Sie sich weder schämen noch schuldig fühlen." 

Ich wende das ins Allgemeine: Wenn man sich für seine Interessen, Ideale, Richtigkeiten einsetzt, und der andere dann nicht tun kann, was er will, bedeutet das meistens auch, dass der andere nicht begeistert ist und an uns leidet. Unseren Weg gehen heißt für andere dann, dass diese ihren Weg nicht gehen können.

Es braucht schon irgendwie ein großes Herz, sich annehmen zu können, sich zu mögen und die Selbstachtung nicht zu verlieren, wenn wir anderen Leid zufügen. Klar haben wir so ein Friedensbild von uns, dass wir durchs Leben gehen ohne dass wir Leid auslösen. Aber das ist einfach unrealistisch! Und genau das sage ich den Eltern.

Die Verbrämung "Das ist doch nur zu deinem Besten" ändert nichts wirklich am Leid des Kindes. Es soll uns beruhigen, dass wir doch gar nicht so schlimm und leidvoll für die Kinder sind. Sind wir aber! Und dem kann man ins Gesicht sehen. Auch Jesus, Sinnbild des Friedens und der Liebe, fügte Leid zu, als er seine Ideale verteidigte: Als er den Geldwechslern im Tempel die Tische umwarf und sie verprügelte.

Man kann dazu stehen, dass man - auch, immer wieder, auch den Kindern gegenüber - jemand ist, der Leid zufügt. Sich schlecht fühlen dabei - ist überflüssig. "Sie sind eine gute Mutter, ein guter Vater. Sie müssen nicht an sich zweifeln, wenn Sie sich durchsetzen und es dann Tränen bei den Kindern gibt."

Und ich sage auch "Sie können es aber lassen, den Kindern ihre Niederlage noch zusätzlich zu erschweren. Durch das Herabsetzen der Kinderposition mit dem ganzen Sieh ein, ich habe recht!-Theater."

"Ein klares Hier stehe ich, ich kann nicht anders!, eine authentische, ehrliche Botschaft zwischen den Zeilen ist von anderer Qualität. Sie machen dann Ihr Kind nicht schlecht, putzen es nicht runter, lassen ihm seine Würde in der Niederlage."

"Sie müssen den Glauben an sich nicht verlieren, wenn Ihnen keine gemeinsame und friedliche Lösung gelingt. Sie haben sich doch bemüht, mit Ihrem Kind geredet und versucht es mitzunehmen. Sie haben Ihre Bücher gelesen und Vorträge und Seminare besucht."

"Aber es kommt eben immer wieder vor, dass das alles nichts nutzt. Und dann stehen Sie halt zu sich, setzen sich durch, das Kind leidet - und Sie glauben an sich."

"Verboten ist das nicht!", schiebe ich hinterher. Ob die Gummistiefel beim nächsten Mal leichter von den Füßen gehen?

 

Montag, 8. April 2024

Forschungsbericht: Schwieriger Schreibanfang



Für meine Dissertation habe ich ein Zusammenfassung meiner Zeit mit den Kindern des Projekts geschrieben, den "Forschungsbericht"*. Ich hatte in unendlich vielen Nuancen erlebt, wie Kinder unterwegs sind. 2601 Stunden in zwei Jahren war ich "Gast im Kinderlkand". Das alles zuPapier zu bringen war eine mächtige Herausforderung, und der Anfang des Aufschreibens nach Abschluss der praktischen Phase des Projekts war schwer. Hier etwas vom Beginn der Aufzeichnungen:

*

Ich spüre jetzt nur ziemlich viel Verwicklung, Komplexität. Ich habe vor, einen großen Knoten, der sich mir im Laufe der Zeit, die ich mit ihnen zusammen war, gebildet hat, zu lösen. Das ist eine schwierige Sache. Ich habe mir keine Aufzeichnungen vom Zustandekommen des Knotens gemacht. Ich muß es vorsichtig versuchen. Ihn durchschlagen - oder einfach einen Knoten sein lassen: Das wäre prima, aber das ist jetzt nicht meine Aufgabe. 

Ich lese, was ich bisher geschrieben habe - und merke, dass ich einen Anfang gemacht habe. Ich spüre die Anstrengung. Ich bin freundlich zu mir: Ich habe etwas geschafft, und es ist nicht nötig, heute alles fertig zu bekommen. Ich habe das Gefühl, mit der Schreiberei langsam, langsam weiterzukommen. Es ist nicht nötig, noch heute fertig zu werden...

Der Knoten, die riesige Erfahrungskonzentration in mir, drängt, in jeder Einzelheit auf einmal aufgeschrieben zu werden. Ich fühle mich da total überfordert. Ich habe mit merkwürdigen Kräften in mir zu tun: Alles will auf einmal sein. Das Differenzieren, das Trennen, das feine Aufgliedern: Das steckt nicht in mir, jedenfalls nicht in dem komplexen Bild. Es kommt von woanders her.

Ich brauche einen langen Atem. Ich brauche Geduld - GEDULD. Ich brauche Zeit in mir, um behutsam, vorsichtig, zärtlich die Bilder deutlich werden zu lassen, die sich mir im Laufe der Zeit angesammelt haben. ICH HABE DOCH ZEIT- ich vergesse das immer wieder. Die Minuten, die ich jetzt zum Schreiben gebraucht habe - sie waren Stunden, Tage. Wenn ich jetzt gleich mit dem Schreiben aufhöre, bin ich viele Meilen gelaufen - hin zu den Erfahrungen, die in mir sind.

Ich entdecke ein altes Prinzip meiner Arbeit wieder: Das Treibenlassen. Nur so habe ich ja so viel mitbekommen - und ich fühle mich gut, wenn ich mich beim Schreiben auch einfach treiben lassen werde. Mal zum Schreiben, wie jetzt, mal zum Hören, mal zum Sichten der Notizen, der Bilder (Gedichte). Ich habe jetzt wieder eine Idee: Ich werde mich einfach so und so viele Stunden oder Minuten am Tag mit dem Projekt beschäftigen - einfach in den Dingen sein.

Was ich dabei im einzelnen tun werde, das wird sich zeigen. Jedenfalls nicht immer nur schreiben und schreiben, geordnet und logisch womöglich noch. Nein: Ich lasse mich in diesen riesigen Berg meiner Erfahrung hineintreiben. Dann notiere ich mal dies, mal nichts. Ich muss mit all dem erst mal richtig vertraut werden.

Ich brauche WU WEI in diesem Berg. Ich brauche Lächeln über dieses entdeckte Land - und es kommt NICHT durch abstrakt-intellektuelles "Schreiben der Dissertation". Ich brauche viel Zärtlichkeit, das ist ein wichtiger Brennstoff für das alles. Und ich habe auch viel davon - Zärtlichkeit zur Zeit, diesem sanften Verstreichen. Wer will mich da zwingen? Ich lebe und treibe. Meine Arbeit ist ein zärtliches Gebilde.

 

 * Der Forschungsbericht ist zu finden in meinem Blog "Amication Reader", dort: Dissertation / Gast im Kinderland, Gesamtbericht, S. 9 (11)



 

Montag, 1. April 2024

Draußen spielt sich gerade ein Wunder ab



"Draußen spielt sich gerade ein Wunder ab, für das man nicht einmal das Haus verlassen muss. Es genügt, das Ohr zu öffnen - und das Herz." Lese ich in einem wieder gefundenem Artikel der ZEIT*. Stimmt, denke ich, würde das aber nicht so hoch hängen. Es geht um den Gesang der Vögel, die jetzt zu Frühlingsanfang wieder zu singen beginnen. Einige sind hiergeblieben, andere kommen nach und nach aus dem Süden zurück.

Seit meiner Studentenzeit habe ich Verbindung zu ihnen, den Vögeln. Ich machte Exkursionen mit, hörte Schallplatten und hatte dann alle auf Tonband. Es war wirklich nicht leicht, die Stimmen den richtigen Vögeln zuzuordnen. Aber nach und nach kannte ich immer mehr. Ich war frühmorgens raus, hörte und staunte, erwischte mit dem Fernglas auch mal Seltenheiten wie Birkhuhn und Goldregenpfeiffer. Die Große Rohrdommel am Dümmer zu hören - das war schon was!

Eines Morgens um fünf auf Beobachtungsstation im Moor. Der Große Brachvogel bewachte Revier und Frau. Als ein schöner fremder Mann auftauchte, gab es großes Theater und eine wilde Verfolgungsjagd, die beiden waren weg. Da kam der Dritte fröhlich trillernd eingeschwebt und nutzte seine Chance. Ja mei!

Die Vögel begleiten mich durchs Leben. Und jetzt im Frühling nehme ich mein Fernglas, geh raus und schaue ihnen zu. Und trainiere weiter neue Arten, die ich noch nicht im Ohr habe. Den Schilfrohrsänger vom Sumpfrohrsänger zu unterscheiden... Drosselrohrsänger und Teichrohrsänger krieg ich schon hin. Aber Blaukehlchen und Braunkehlchen - abwarten.

Ich sinne darüber nach, wie man hobbymäßig seine Zeit verbringen will. Tausend Varianten! Mir ist das mit den Vögeln zugefallen. Und wie jeder sein Hobby schön findet, fühle ich mich auch rundum wohl, wenn ich draußen bin, auf Vogelstimmenexkursion. Ich mache das, weil - ja, da hab ich keine wirkliche Antwort. Oder zig Antworten. Es ist eben stimmig für mich. Weil halt! 

Meine Freude kommt aus einem Mitgenommenwerden und Mitgenommensein. Ich gerate in Resonanz mit all dem, was den Gesangskosmos um mich herum ausmacht. Die Musik, die Farben, die Lebenskraft, das Naturambiente drumrum, die große Harmonie. Und sie gehen ja auch miteinander, gründen eine Familie und ziehen die Kinder groß. Und dann auf große Fahrt übers Meer nach Afrika...

Vielleicht bin ich da auch zu pathetisch. Egal. "Der Luft wird Gesang verliehen"**, ja so ist es gut gesagt. "Ich liebe mich so wie ich bin", eins meiner Mottos und eins meiner Bücher: genau das höre ich von jedem Vogel, wenn er singt. Es ist einfach nur schön.




* Pfeifen, Zwitschern, Tiriliern. Fritz Habekuss, DIE ZEIT Nr. 14 vom 26.3.20, S. 37
** a.a.O., Fritz Habekuss zitiert den Schriftsteller David Haskell

 

Montag, 25. März 2024

Resonanz

 


Es ist Nacht. Ich bin draußen, in den Feldern. Ich liege auf meiner Isomatte und bin warm angezogen. Ich habe ein Kissen unter dem Kopf und sehe. Das Nachtdunkel, und darin die Sterne. Lichter, Punkte, größere, kleinere. Einige erkenne ich wieder, Orion, Plejaden, Wagen, Himmels-W. Jupiter ist nicht zu verfehlen. Halbmond. Von den Lichtpunkten über mir weiß ich, dass darunter unzählige Galaxien sind, die ich nur als Punkt wahrnehme. Milchstraßen, mit Übermillionen Sternen. Und dass es Übermillionen Milchstraßen gibt. Dann höre ich auf nachzudenken.

Ich lasse mich fallen in diese Dunkelheit mit den Lichtern. Wer bin ich – wer seid ihr? Was passiert in mir? Es ist eine grandiose Harmonie, die ich wahrnehme. Ich komme mehr und mehr zu mir. Meine Nähe zu mir ist meine Nähe zum Universum. Meine Nähe zu mir kommt als Selbstliebe daher, meine Nähe zum Universum als Vertrauen und Vertrautheit. Ich bin mit all diesem in Beziehung, Verbindung, Resonanz.

Es muß sich nichts ändern. Es kann sich alles ändern. Und es ändert sich ja auch immer wieder. Sterne vergehen und entstehen. Meine Wege lösen sich auf und beginnen neu. Meine Winzigkeit hier unten ist mein Universum, und ich nehme die Zuversicht der Sternenwelt gegen meine Verzagtheiten. Wo der Klang der Großen Liebe aus den unendlichen Tiefen des Kosmos meine Selbstliebe zum Schwingen bringt. 

Montag, 18. März 2024

Liebe Lehrer, ich habe ein Konzentrationslager überlebt... Mein Anliegen ist:

 

 

Ich ordne alte Akten und finde einen handgeschriebenen Brief, der uns vor langer Zeit zuging:


Liebe Lehrer, 

ich habe ein Konzentrationslager überlebt.

Meine Augen haben Dinge gesehen,

die kein menschliches Auge je erblicken sollte:

Gaskammern, gebaut von gebildeten Ingenieuren,

Kinder, vergiftet von wissenschaftlich ausgebildeten Ärzten,

Säuglinge, getötet von erfahrenen Krankenschwestern,

Frauen und Kinder, erschossen und verbrannt 

von ehemaligen Oberschülern und Akademikern.

Deswegen traue ich der Bildung nicht mehr.

Mein Anliegen ist:

Helfen Sie Ihren Schülern, menschlicher zu werden.

Ihr Unterricht und Ihr Einsatz sollte 

keine gelehrten Ungeheuer hervorbringen,

keine befähigten Psychopathen,

keine gebildeten Eichmanns.

Lesen, Schreiben und Arithmetik sind nur wichtig,

wenn sie dazu beitragen,

unsere Kinder

menschlicher

zu machen.


Haim G. Ginott

 




 

Montag, 11. März 2024

Ich verliere nicht gern Freunde

 


Ich erfahre von einem Freund, dass neulich jemand schlecht von mir geredet hat. Zu einer anderen Person, die das dann alles geglaubt hat und nun mit einem Bild von mir rumläuft, das ungut ist. Und mit mir nichts mehr zu tun haben will.

Soll ich bei der betreffenden Person intervenieren, zurechtrücken? Damit ich wieder gut dastehe? Und soll ich den Schlechtredner zur Rede stellen? Soll ich mich überhaupt in so etwas reinhängen?

Ich bin jemand, der sich da eher raushält. Mit Schmutz beschäftigen bringt nur schmutzige Hände. Wenn der Schlechtredner nicht erst mal mit mir redet über das, was er an mir schlecht findet, sondern gleich zu anderen geht und seine Sicht über mich kundtut - da komme ich doch gar nicht mehr an ihn ran. Klar, ich könnte auch energisch, empört oder freundlich auf ihn einreden, dass ich doch gar nicht so bin, wie er meint. Aber er hat mich ja schon hinter sich gelassen. Er hat sein Bild von mir, leider ein schlechtes. Stehe ich ihm zu.

Was also tun? Na ja, ich bin mein eigener Chef, ich kann auf alle mögliche Weise reagieren. Mein Motto ist eben: Null Reaktion, es auslaufen lassen. Den Schlechtredner nicht reizen, anheizen. Ich bin ihm dabei nicht mal böse, es ist ja sein Ding mit mir, das muss er so haben. Nur ich habe keine Lust, mich mit dieser seiner Schlechtsicht auf mich zu befassen. Ich finde mich nämlich sehr in Ordnung. Muss er ja nicht mitmachen.

Die Alternative ist: offensiv reinhängen. "Was hab ich da gehört? So redest Du über mich? Wie kommst Du denn darauf?" Mal sehen, was kommt. "Entschuldige, das habe ich nicht gewusst, Ja, wenn das so ist." Na prima. Das Geschmäckle aber bleibt, ich kann dem doch nicht die Seele richten.

"Tut mir echt leid, dass ich so von Dir gedacht habe." Ehrliches Innehalten, die Basis wiederfinden, Vertrauen, "Ok, Schwamm drüber!" Nanana, denk ich, das gibts doch nur im Märchen. Der Schlechtredner hat mich aufgegeben, mich nicht erst mal gefragt, sondern ist mit festem schlechten Bild von mir losgezogen.

Ich bin not amused, wenn schlecht über mich geredet wird. Aber was solls, kommt eben vor. Blöd sind nur die Auswirkungen auf andere. Na ja, das warte ich dann mal ab. Die betroffene Person hat sich von mir zurückgezogen. Aber demnächst mache ich doch noch einen Versuch, wieder gut gesehen zu werden. Weil mir diese Person wichtig ist. Ich verliere nicht gern Freunde.

 

Montag, 4. März 2024

Wutausbruch: Wer ist zuständig?

 



Das Erkennen der Selbstverantwortung bedeutet das Ende der Verstrickungen, die dadurch entstehen, dass jeweils der andere verantwortlich dafür gemacht wird, wie es einem geht.

Wenn ich gewohnt bin und nicht anders denken kann, als dass andere für mich verantwortlich sind, dann gilt in den Beziehungen das »Du bist schuld« und »Wegen Dir geht es mir schlecht«. Aber ich kann mich von dieser Sicht fremder Verantwortung fort und hin zur meiner eigenen Zuständigkeit orientieren.

Im Bereich der psychischen Wirklichkeit, der Bewertung und Gewichtung der Außenwelt, zu der auch das Verhalten des anderen gehört, erlebe ich dann meine ungeschmälerte Selbstverantwortung: »Was andere mit mir tun, unterliegt der Bewertung von mir«. Für die Innenseite der Beziehung gilt das Andere-sind-für-mich-verantwortlich-Muster nicht mehr.

Es gilt dann: »Auf Dein Verhalten kann ich mit Freude oder Schmerz reagieren – dies ist meine Zuständigkeit. Für meine Reaktionen auf Dein Tun bist nicht Du, sondern bin ich selbst verantwortlich.«

Und ebenso: »Auf mein Verhalten kannst Du mit Freude oder Schmerz reagieren – dies ist Deine Zuständigkeit. Für Deine Reaktionen auf mein Tun bin nicht ich, sondern bist Du selbst verantwortlich.« 

Auf einen Wutausbruch etwa kann der andere ebenfalls mit Wut oder auch gelassen reagieren, für beide Reaktionsmöglichkeiten wird er seine Gründe haben. Es gilt aber nicht mehr, den anderen für die eigene Reaktion verantwortlich zu machen.Und ebenso gilt nicht mehr, mich für die Reaktion des anderen zuständig zu machen.

 

Montag, 26. Februar 2024

Deutscharbeit 10:03 Uhr



deutscharbeit in der klasse 8c. angespannte ruhe liegt über den jungen leuten. ein stuhl wird gerückt. der lehrer blickt auf. ein schüler ist aufgestanden. "was ist los, kilian?" alle sehen jetzt auf. der schüler sieht zufrieden aus. er schaut zur tafel, durch sie hindurch. "kilian, was ist?" leicht irritiert steht der lehrer auf. "ich schreibe nicht weiter. ich schreibe keine aufsätze mehr." nach einer sekunde absoluter stille wird es sehr unruhig. der lehrer wird energisch. "lass den quatsch und setz dich. schreib weiter."

kilian richtet sich ganz auf. er sieht den lehrer an. "sie haben kein recht dazu. meine gedanken gehören mir. niemand hat das recht, meine gedanken auf sein papier zu befehlen. ich werde keine aufsätze mehr schreiben. nie mehr." seine entschlossenheit bewirkt noch einmal absolute stille im klassenraum. dem lehrer gelingt keine antwort. zwei, drei andere junge leute stehen ebenfalls auf. sie sagen nichts, sie schließen ihre hefte. der lehrer ist fassungslos, sprachlos. alle stehen jetzt, alle hefte sind geschlossen. "wollen sie einen kaffee?" fragt freya, "ich hole einen".

tagesschau: "überall im land haben sich heute vormittag zahlreiche schüler geweigert, ihre klassenarbeiten zu schreiben. lehrer berichten, dass die schüler mitten im unterricht aufstanden und die fortsetzung ihrer arbeiten ablehnten. lehrer, pädagogen, psychologen und eltern können sich diesen vorgang nicht erklären, zumal es an sehr vielen orten gleichzeitig gegen 10:00 uhr vormittags geschah. die entschiedenheit der ablehnung, klassenarbeiten zu schreiben, kam umso unvermuteter, als es keine vorherigen anzeichen für ein solches phänomen gab."

 

Montag, 19. Februar 2024

Vorfrühlingstag

 



an diesem vorfrühlingstag

sind die kinder im wald.

als teil der natur,

versunken in ihr spiel,

handfest glücklich.




am waldrand fällt ihr blick

einen moment nach draußen:

hinter der großen eiche,

dem letzten schutz,

über dem fluss,

dem bürgen des lebens,

harrt der kasten aus stein,

das monument ihrer

menschwerdung,

die schule.




absurd,

wirklich und unwirklich

zugleich

steht sie da drüben,

wie ein alien.




„wozu ist das gut?“

„wozu könnte es gut sein?“

sie flüstern.




dann folgen die kinder

wieder ihrem spiel,

das leben heißt,

in dieser vertrauten umgebung,

der großen harmonie,

die sie liebt und lehrt,

wer sie wirklich sind. 

 

 

 

*

Prolog meines Buches "Schule mit menschlichem Antlitz", 2001


 



Montag, 12. Februar 2024

Herzinfarkt und Sternennächte

 


Eine gute Freundin ruft an, sie kann nächste Woche nicht zum Geburtstagsbesuch kommen. Na gut, denke ich, o.k., ringe mich aber durch, nachzufragen: "Warum?" "Na, weil ich im Krankenhaus bin." Spärliche Mitteilung. "Was gibt es denn?" "Herzinfarkt, gestern, aber jetzt ist alles gut."

Ich bin sprachlos und sehr berührt. Das sagt sie so nebenbei, und wenn ich nicht nachgefragt hätte... Wir reden dann eine ganze Weile darüber – aber erst am nächsten Tag, als ich mich berappelt habe und denke, dass ihr mein Nachfragen und mein Mitfühlen gut tun könnte. So war es dann auch. Ich wollte schon die drei Stunden hinfahren und Wiesenblumen mitbringen. Aber ich kenne sie ja und weiß, dass ihr soviel Aufhebens nicht gefällt. Das Gespräch kam aber gut.

"Das kann ruck-zuck vorbei sein. Das war es dann." Sie sieht das nüchtern. Und ich? Na ja, recht hat sie ja. So kann es schon sein. Ich blicke auf und in den Sommer, mein Joggen, die Wiesengänge, meine immer wieder neuen schönen Alltäglichkeiten. Meine Lieben. Mein Lebensprojekt Amication. Und meine Sternennächte.

Dahin wird die Reise gehen, ins Unendliche, zu den Sternen eben. Wenn es soweit ist. Ist es aber noch nicht! Kann aber passieren, jederzeit. Ja klar. Soll dann so sein. Jetzt aber eben nicht. Jetzt höre ich beim Schreiben die Amsel singen. Und sehe das nachlassende Sonnenlicht in der Abendzeit. Und weiß, dass der Vollmond gleich über den Wiesen stehen wird. Ich bin hier, in dieser bunten Welt, mit ihren Geheimnissen. Es ist halt so viel los und alles ist so voll. Es soll nicht zu Ende sein.

Das Ende all dieser Dinge kann dann kommen, wenn es denn zu kommen hat. Das sehe ich auch nüchtern. Aber schade ist es dann doch ...