Montag, 30. Januar 2017

Die positiven Wirkungen


Ich werde oft gefragt, welche positiven Wirkungen eine
amicative Lebensweise hat. Und ich tu mich schwer damit,
von diesen positiven Wirkungen zu erzählen. Es kommt mir
irgendwie angeberisch vor. Nur, was soll ich machen? In den
amicativen Familien läuft es halt rund, harmonisch rund. Klar
gibt es auch Turbulenzen, aber das hält sich alles im Rahmen.
Die Basis ist von besonderer Qualität, Amication ist da schon
ein felsig Grund.

Wer sich neu mit der Amication beschäftigt, kann sich leicht
überfordert fühlen, wenn er so viel Positives hört. "Das ist
doch gar nicht zu schaffen" - doch, sage ich dann, schon,
wenn man diesen Weg eingeschlagen hat und am Ball bleibt.
Und auch nicht hinter "dem Positiven" herrennt. Das ergibt
sich dann schon, kein Stress!

In einem meiner Bücher habe ich einmal zusammengefasst,
was da so geht. Ich erzähl einfach mal.

*

Amicative Kinder sind selbstverantwortlich von Geburt an,
werden so von ihren Eltern gesehen und hierin nicht gestört.
Die Entscheidungen, die sie treffen, bringen sie nicht in
Gefahr, und Unfälle sind selten. Sie sind nicht in Versu-
chung, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Wenn sie sich für
eine Beurteilung überfordert fühlen, delegieren sie an ihre
Erwachsenen die Befugnis, für sie zu entscheiden. Sie schät-
zen die Erfahrung, Kompetenz und Körperkraft ihrer Eltern
und machen ungezwungen davon Gebrauch.

Amicative Kinder schlagen nicht über die Stränge. Sie sind nicht
ungezogen, sondern sie wachsen erziehungsfrei auf, das heißt,
sie sind nicht in Abwehrhaltung gegen pädagogische Über-
fälle "trotzig" und "unartig", sondern frei von solchen Über-
fällen in ungehindertem Kontakt zu ihrer Sozialität. Es kommt
einfach nicht vor, daß sie sich mit Messer, Gabel, Schere,
Licht verletzen, Wasser durch die Wohnung schütten, Le-
bensmittel für Spiele missbrauchen, Blumen abreißen, Tiere
quälen, Wände beschmieren, Spielzeug zerstören. Sie sind in
beiläufiger Selbstverständlichkeit achtsam.

Amicative Kinder haben wie andere Kinder auch immer
wieder miteinander Konflikte, aber dies gerät ihnen nicht zu
hässlichem Zank. Ihre Konflikte explodieren nicht in wilden
Körperattacken, Hass, Häme, Schuldzuweisungen und Ohn-
rnachtsgefühlen. Die Geschwister achten sich, der Ton ihrer
Beziehungen ist auch im Konflikt einfach überwältigend.

Amicative Kinder kennen nicht Rücksichtnahme im Sinne
einer Pflicht, um deren Erfüllung man sich immer wieder
bemühen sollte. Sie sind im Austausch mit den Wünschen
und Gefühlen der anderen, und es liegt ihnen daran, dass
diese auch zufrieden sind. Ihre soziale Weisheit ist faszinie-
rend und jenseits jeglicher Pflicht hierzu.

Amicative Kinder sind klar in ihrem "Nein". Ihr "Nein" ist
nie gegen andere gerichtet, sondern Ausdruck dafür, dass sie
einen anderen Weg gehen wollen. Ihr "Nein" ist deswegen
leicht zu respektieren, die gesamte Problematik "Aufsässig-
kei" und "Uneinsichtigkeit" taucht überhaupt nicht auf. Wenn
Eltern ihr "Nein" nicht gelten lassen können (aus ihren
subjektiven Gründen heraus) und sich darüber hinwegset-
zen, beschwört das keine Katastrophe herauf, und das gilt
auch umgekehrt. Kinder und Eltern reagieren - vielleicht
nach einem Versuch, doch noch zum Zuge zu kommen -
schlicht mit Akzeptanz, und manchmal sind sie darüber auch
betrübt, selten verärgert.

Amicative Kinder essen so viel, wie ihnen gut tut, und sie essen
das, was ihnen schmeckt. Sie essen Vollkornbrot oder Weiß-
brot, Salat oder Pudding, Nudeln mit Ketchup oder ohne. Sie
nehmen bittere Medizin und naschen süße Gummibärchen.
Wir sind in dieser Frage sehr entspannt miteinander.

Amicative Kinder werden weder zur Reinlichkeit gedrängt
noch dürfen sie die Wohnung beschmutzen. Es gibt Windeln
zum Waschen oder zum Wegwerfen. Und wenn die Kinder
das wollen, den Topf, später den Aufsatz auf der Toilette.
Eines Tages ist es dann von allein soweit, dass sie ohne unsere
Hilfe zurechtkommen.

Amicative Kinder bekommen genug Schlaf, wann immer sie
ins Bett gehen. Wenn ihre Eltern sagen, es sei Zeit, ins Bett
zu gehen, dann gehen sie. Allerdings werden sie damit nicht
zur Unzeit gestört. Die Eltern begleiten die Kinder in den
Schlaf, so wie sie es gern haben. Die Kinder bleiben nicht bis
Mitternacht auf, sondern sie haben ganz normale Schlafens-
zeiten wie andere Kinder auch. Der Unterschied liegt darin,
dass es hierüber kein Theater gibt.

Amicative Kinder sind beliebte Spielkameraden. Sie sind am
"Unsinn" anderer Kinder nicht uninteressiert, aber sie trei-
ben solche Dinge nicht voran, und sie weigern sich, offen-
sichtlich gefährliche und andere schädigende Aktionen mit-
zumachen. Sie petzen nicht, aber wenn sie wirklich schwere
Bedenken haben, vertrauen sie sich ihren Eltern an. Sie
halten sich von aggressiven Kindern fern und setzen sich
gegen solche Kinder energisch zur Wehr, wenn sie von ihnen
belästigt werden.

Amicative Kinder sind gern gesehene Gäste in anderen Fa-
milien, und in der Schule werden sie als wertvolle Stützen der
Klassengemeinschaft geschätzt. Sie erhalten im Hinblick auf
ihr Sozialverhalten auffallend positive Beurteilungen, und
ihre schulischen Leistungen sind wie bei anderen Kindern
mal besser und mal schlechter.

Amicative Kinder reiten, fahren Schlittschuh, hören Disco-
musik, essen Pommes und Schokolade und Biokost, lesen
Comics und "5 Freunde", hören CD und sehen "Das
Dschungelbuch", sie malen, basteln, backen - sie leben ein
ganz normales Kinderleben, nur eben von einer Qualität, die
wirklich beglückend ist.