Freitag, 17. März 2017

Du tust mir weh


Noch etwas aus meiner Schatzkiste zum Thema "Zuständigkeit". Und: wenn man weiß, ahnt, auf dem Schirm hat, dass der andere gleich mit Schmerz reagieren wird, könnte man es ja auch bleiben lassen - wenn man es kann. Der Lieblosigkeit wird hier nicht das Wort geredet. Ganz im Gegentei: Liebe fließt umso mehr, je weniger sie unter Druck gerät.

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»Du tust mir weh« – wir haben von klein auf zu glauben gelernt, dass dies überhaupt geschehen kann. Und dass wir diejenigen seien, die den anderen Schmerz und Betrübnis bereiten. Doch wir schneiden auch das »Du tust mir weh« als einen Marionettenfaden ab. »Du tust mir weh« geht in Wahrheit überhaupt nicht zwischen Menschen!

»Du tust mir weh« schiebt dem einen die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für das Wohl des anderen zu. Zuständig und verantwortlich bin ich jedoch stets für mich selbst, niemals kann dies ein anderer für mich sein. Wenn es in unserem Umgang ein »Du tust mir weh« gibt, zeigt dies, dass wir einander zu entmündigen gewohnt sind und dass in komplizierter Weise der Entmündigte (der Zuständigkeit für seinen Schmerz nicht mehr bei sich sieht) den anderen unterdrückt, indem er ihm die Sorge für sein Wohl aufbürdet.

Wir haben gut gelernt, auf das »Du tust mir weh« blitzschnell zu reagieren: mit Verteidigen, mit Wiedergutmachen, mit Beschwichtigen, mit Entschuldigen, mit schlechten Gefühlen und schlechtem Gewissen. Unumstößlich war, dass wir tatsächlich dem anderen etwas getan hatten und dass die Idee »Der eine kann dem anderen weh tun« eine korrekte Idee sei.

Es ist jedoch ein jeder für sich selbst zuständig. Wenn ich etwas tue, ist dies vor mir, dir und der Welt verantwortet. Da ich mich liebe, ist mein Tun immer ein sinnvolles und letztlich Liebe ausdrückendes Tun. Dies bedeutet nicht, dass es von den anderen stets als Glück erlebt wird! Mein sinnvolles Tun kann durchaus für andere Schmerz bedeuten. Aber es gilt zu merken, dass die Schmerzerfahrung über mein sinnvolles Tun die Erfahrungsrealität des anderen ist, nicht etwas, für das ich zuständig bin. Du könntest in der Tat ja auch anders als mit Schmerz reagieren, etwa mit Erstaunen, Belustigtsein, Gelassenheit, Anteilnahme, Sorge, Spaß, Glück, Zufriedenheit usw. als ausgerechnet mit Schmerz.

Ich tue nur Sinnvolles, jederzeit das Beste. Wenn du darauf mit Schmerz reagierst, ist dies sicher deine korrekte Reaktion – aber es ist deine Reaktion und nichts, was ich mir anstecken müsste. Wenn wir den Schmerz des anderen so ansehen, verwischen wir nicht die Zuständigkeiten. Ob du mich als Schmerz oder Glück erfährst, ist nicht meine, sondern deine Sache.

Statt »Du tust mir weh« wäre es korrekter zu sagen »Ich erlebe dich schmerzvoll«. Damit würde die Zuständigkeit klar ausgedrückt. Aber solche Redewendung ist völlig unüblich – und es ist nicht verwunderlich, dass unsere Sprache solche Differenzierungen kaum kennt. Doch es kommt natürlich nicht auf die Worte an. Wichtig ist zu wissen, dass ich immer für mich selbst zuständig bin, auch, wenn andere mit mir umgehen, auch, wenn andere von mir als schmerzvoll erlebt werden. Dass eine solche Sicht geradezu revolutionierende Konsequenzen für unsere Beziehungen hat, liegt auf der Hand.

Wenn ich erlebe, dass durch mein Tun jemand in Schmerz gerät und ich mich nicht in Zuständigkeitsdebatten und Schuldzuweisungen verlieren muss, sondern genau weiß, was mir zukommt (Liebe zu strahlen) und was dir zukommt (diese jetzt als Schmerz zu erleben), dann habe ich auch Kraft, mich dir zuzuwenden – deinem in dir lebenden Schmerz. Und du könntest erfahren, dass ich dich liebe – was wiederum deinen Schmerz lindern wird.