Samstag, 8. April 2017

Wenn Du nicht aufisst...


Noch so ein kleines Schulerlebnis. Wieder die Schule vom letzten Post. Grundschule, Nachmittagsbetreuung. Der Siebenjährige erzählt: "Miriam hatte genug gegessen.
Aber der Teller war noch nicht leer. Ole, der Betreuer hat sie angemault: Wenn Du
nicht aufisst, bleibst Du bis heute Abend hier!"

Echt jetzt? So was ist doch Lichtjahre zurück! Ich seh mich bei meiner Großmutter
sitzen vor dem Kochfisch, knalltrocken der Mund, ewiges Rungekaue auf dem
Fischknuddel. "Erst isst Du auf, dann kannst Du losziehen." Auch ich war sieben.

Meinen Kindern habe ich gesagt, immer!: "Iss nur so viel, wie Du kannst, gut kannst.
Was Du nicht schaffst, schaffst Du nicht." Es kam sehr selten vor, dass sie nicht
aufgegessen haben. Jedenfalls hab ich den schaurigen Aufessedruck in meiner
Familie gar nicht erst aufkommen lassen. Ist doch so selbstverständlich wie was.
War damals, vor 30 Jahren, schon ein bisschen Revolution. Aber: Wie kann man
Kinder nur zum Aufessen drängen? Wer macht denn sowas?

Dahinter wuchtet natürlich wieder die Menschenwürde, die unantastbare. Hier:
die körperliche Unversehrtheit, das Recht auf den eigenen Körper. Was ich als
Vater ja auch immer wieder nicht umsetzen konnte. Wenn es ums Waschen ging,
Zähneputzen, Schlusspinkler, Fesseln per Anschnallgurt, Festhalten beim Wickeln,
ach, tausend Übergriffe. Die sein mussten, wie ich das so meinte. Aber dieses
ungewünschtes Mittagessen? Diese Mund-Unterdrückung (klar und scharf:
Mund-Vergewaltigung)? Ist das anders als Hustensaft? Bin ich zu unnachsichtig
mit Ole und Co.?

"Mein Bauch gehört mir!" Stolzes Wort in Kindermund. Schon mal gehört? Ja
doch, aber: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Und deswegen kommt das
Vollkornbrötchen in Deinen Bauch und nicht der 17. Schokohase von der Oma.
Immerhin, bei aller meiner Durchsetzungsmacht (Erwachsener oben, Kind unten):
Ich setze mich "nur" in der äußeren Welt durch (ich bin ja nicht antiautoritär).
Aber die innere Welt des Kindes lass ich in Ruhe. Ich habe nicht wirklich Recht,
ich folge nur meiner subjektiven Wahrheit. Einsehen muss bei mir kein Kind was.
Wiewohl es meinen Einsichten folgen kann, wenn es das will.

Aber Ole?