Samstag, 24. Juni 2017

Klartext, amicativ. I



















Die amicative Analyse hat offen gelegt, dass alle pädago-
gischen Theoretiker und Praktiker eine gemeinsame Basis
haben – so verschieden ihre Positionen auch sein mögen.
Diese übergreifende Basis ist das pädagogische Bild vom
(jungen) Menschen, das sich in den Büchern und Konzep-
tionen der pädagogischen Autoren, Wissenschaftler und
Theoretiker findet und in jeder Handlung eines pädago-
gischen Menschen lebt.

Die pädagogische Welt hat eine einheitliche Basis. Über
die Frage aber, wie man den Umgang mit Kindern von
dieser Grundlage aus gestalten soll, wird gestritten. Da
gibt es viele Richtungen: antiautoritäre Erziehung, auto-
ritäre Erziehung, demokratisch-partnerschaftliche Erzieh-
ung, sozialistische Erziehung, christliche Erziehung, Mon-
tessoripädagogik, Waldorfpädagogik, permissive Erziehung,
emanzipatorische Erziehung, Laissez-faire-Erziehung,
Situationspädagogik, usw.

Wie ist das pädagogische, das traditionelle Bild vom jungen
Menschen? Es geht um das Fühlen der Gleichwertigkeit,
jedoch nicht um ein allgemeines Gleichwertigkeitsgefühl.
dass Kinder gleiche Würde wie Erwachsene haben – dies
wird sicher von pädagogischen Erwachsenen ebenso gefühlt
wie von amicativen. Es geht um etwas Spezielles im Bereich
des Gleichwertigkeitsgefühls. Es geht um die folgende traditio-
nelle, die pädagogische Grundposition:

Menschen können nicht von Geburt an das eigene Beste selbst 
spüren.

Menschen werden nicht mit der Fähigkeit zur Selbstverant-
wortung geboren. Soweit die traditionelle Sicht vom jungen
Menschen, die pädagogische Sicht.

*

Die Amication bezieht nun Gegenposition. Zunächst macht sie
bewusst und klärt darüber auf, dass die Auffassung "Kinder sind
keine Selbstverantworter" kein Naturgesetz ist und nicht am
Himmel geschrieben steht, sondern dass diese Auffassung eine
subjektive Hypothese von Menschen über Menschen ist, eine
Privatvermutung des jeweiligen Erwachsenen über ein jeweiliges
Kind. Es handelt sich um ein Menschenbild, und Menschenbilder
sind persönliche und austauschbare Annahmen über den anderen,
der eine hat dies, der andere hat das.

Das pädagogische Menschenbild ist Ausdruck der zehntausend
Jahre alten patriarchalischen Gesellschaftsform, die heute welt-
weit verbreitet ist und die auf der Unterdrückung von Frauen,
Kindern und Natur beruht. Wenn Erwachsene meinen, dass sie
für das Kind - an seiner Stelle - verantwortlich sein müssten, so
folgen sie dem Herrschaftsgedanken des Patriarchats, dass einer
über dem anderen stehen kann. Dieses Menschenbild haben sie
im Laufe ihres Lebens gelernt. Zwangsläufig ist das alles jedoch
nicht. Wohl tabuisiert und als Selbstverständlichkeit übernommen.

Die Amication weist nun auf ein Leben jenseits der pädagogischen
Tradition, jenseits der Erziehung. Ihrer Auffassung nach gilt:

Menschen können sehr wohl von Geburt an das eigene Beste selbst 
spüren.

Diese Fähigkeit haben Menschen. Sie können von Anfang an für
sich selbst verantwortlich sein. Niemand muss an ihrer Stelle
entscheiden, was ihnen nutzt und was ihnen schadet. Niemand
muss für sie Verantwortung tragen, sie sind von Geburt an selbst-
verantwortlich.

Erwachsene sind nicht verantwortlich für Kinder, denn das sind
sie selbst - nicht zu 0,5 Prozent, oder 10, 25, 50 oder 99 Prozent,
sondern zu 100 Prozent. In Bezug auf die Selbstverantwortung
besteht völlige Gleichwertigkeit zwischen jungen und erwach-
senen Menschen.

Selbstverantwortlich zu sein bedeutet zweierlei:

- zum einen: die Welt zu deuten und zu bewerten nach der je
                    eigenen, subjektiven Perspektive - und hier gibt
                    es so viele Realitäten, wie es Lebewesen auf die-
                    sem Planeten gibt, und Menschenkinder bilden
                    in dieser Fähigkeit keine Ausnahme.
- zum anderen: entsprechend der jeweiligen Perspektive zu
                  handeln.

Fortsetzung folgt.