Freitag, 29. September 2017

Der fährt ohne Helm!























"Mein Sohn will beim Fahrradahren keinen Helm aufsetzen.
Nach endlosem Gezerre fährt er jetzt ohne. Was soll ich machen?"

Eine Frage auf dem Vortrag heute. Mir geht sofort durch den
Kopf: Klare Kante zeigen, ohne Helm kein Rad, und Punkt. Wo
ist da das Problem?

Strafen, Belohnungen: Es hat alles nichts genutzt. Sie lässt ihn
jetzt ohne Helm fahren. Mit unguten Gefühlen. "Da ist er für
sich selbst verantwortlich."

Na ja, das ist er wirklich, wie jeder Mensch. Aber sie ist in
Not, hat Angst, dass etwas passieren könnte, was mit Helm
eben nicht passieren würde.

Sie will ihm das Radfahren nicht verbieten. Alle seine Kumpels
fahren ohne Helm. Helm ist bei diesen Zehnjährigen uncool.
Sie ist nicht glücklich mit ihrem Kind.

Wie gehen wir mit der Sorge um den anderen um? So etwas
nagt und soll verschwinden. Aber was kann helfen?

Ich habe ihr gesagt, dass sie sich keine Vorwürfe machen muss,
wenn etwas passiert. "Sie haben sich bemüht. Mehr geht grad
nicht. Wir können nicht alles erreichen, was wir wollen. Auch
nicht im Umgang mit den Kindern." Neu für sie ist, sich selbst
dabei ohne Vorwurf, schlechtes Gewissen, Schuldgefühl zu sehen,
sehen zu können, sehen zu dürfen.

"Aber ich könnte ihm das Radfahren verbieten. Dann passiert
doch auch nichts."

Klar, könnte sie. Theoretisch. Diese Mutter aber nicht, sonst
würde sie es ja getan haben. Sie wünscht sich etwas, was es
nicht gibt: Ihren Sohn mit Fahrradhelm.

Wir haben immer wieder unrealistische Wünsche an den anderen,
die uns drängen und aus unserer Not kommen. Und wenn sie
nicht erfüllt werden, geht es uns nicht gut. Was kann man tun?
Den Partner kann man verlassen, die Kinder nicht. Es ist wie
ein Schmerz, der sich nicht vermeiden lässt. Wenn das Messer
ausrutscht und mir in den Finger fährt. Es tut höllisch weh,
aber. Aber ich mache mir keinen Vorwurf. Ich verlasse mich
nicht, lasse mich nicht im Stich. Ich bin nicht schuld. Ich
habe mich bemüht, aber es hat nicht geklappt. Das Messer
ist nicht meinen Weg gegangen.

Sie hat dieses Kind, und es tut ihr weh, wenn er ohne Helm
radfährt. Der Messerschmerz klingt dann ab. Der Helmschmerz
klingt dann ab? Ja, wenn sie ihn nicht immer wieder aufs neue
erlebt, bei jeder Radrunde. Wenn sie es schafft, ihr helmloses
Kind als ihre Realität wahrzunehmen. Wenn.

"Er ist so jemand, helmlos glücklich" sage ich. "Sie haben
dieses Kind und kein anderes." Ich erzähle ihr ihre Wirklich-
keit. Sie verkämpft sich, bleibt im Unfrieden, will etwas,
was es nicht gibt. Das sage ich ihr. Sagt ihr das etwas? Bin
ich übergriffig, belehrend, unachtsam? Ich merke, dass sie
anfängt, entspannter über diese Helmerei nachzusinnen. Sie
macht andere Bemerkungen als eben. Sie sieht das Szenario
von einer anderen Perspektive. "Danke", sagt sie.