Dienstag, 26. September 2017

Schule: Achtsamkeit und Manipulation























Vorwort zum Erscheinen der Serbischen Ausgabe meines Buches "Schule mit
menschlichem Antlitz"


Seit dem Erscheinen von „Schule mit menschlichem Antlitz“ im Jahr 2001 sind viele Jahre vergangen. Hat sich seitdem etwas verändert?

Die Lehrer sind engagiert und sie geben sich viel Mühe. Sie wollen die Kindern „mitnehmen“, wie das so heißt. Also statt zu dirigieren suchen sie den Konsens mit den Kindern. Viele Kinder sind heute für diese konsensorientierte Ansprache offen und machen das, was die Lehrer von ihnen wollen. Aber es gibt in jeder Klasse auch eine Minderheit - mal kleiner, mal größer -, die von den Lehrern nicht erreicht wird. Diese Kinder verweigern sich introvertiert oder reagieren aggressiv. Diese „schwierigen“ Kinder sind für die Lehrer, die heutzutage ja im Konsens unterrichten wollen, sehr anstrengend, und da gibt es auch keine gute Lösung und Burnout ist häufig die Folge ( etwa 30 Prozent der Lehrer).

Viele Eltern sind heute mit dem öffentlichen Schulsystem unzufrieden, sie wollen mehr Achtsamkeit und individuelle Förderung ihrer Kinder. Es gibt einen Boom an Privatschulen. Diese
haben unterschiedliche Konzepte. Allen ist gemeinsam, dass sie die Kinder auf den rechten Weg bringen wollen – sanft, aber sehr zielorientiert.

Gibt es also mehr Luft zum Atmen für die Kinder? Ja, die gibt es. Aber diese Luft ist ein krankes Gemisch aus Achtsamkeit (gut!) und subtiler Manipulation (schlecht!). Über ihr Lernen selbst bestimmen können die Kinder auch heute nicht, ihr Menschenrecht auf Gedankenfreiheit können sie auch heute nicht wahrnehmen. (Es gibt seltene Ausnahmen, z.B. „Demokratische Schulen“, ca. 20 in Deutschland.)

Es hat sich also nichts am Fundament der Schule geändert. Das pädagogische Lehrersein steht nach wie vor im Gegensatz zum persönlichen Menschsein. Ich habe über die Jahre viele Lehrer und Studenten kennengelernt, die an diesem Gegensatz leiden und unermüdlich versucht haben, ihn zu überwinden. Aber die Schulrealität fordert von den Lehrern, als Bildungsfunktionär die Kinder zu bilden und zu formen. Der pädagogische Missionsauftrag ist ungebrochen – und er überfordert weiterhin Lehrer und Schüler.

Mein Buch hat vielen Lehrern und Eltern Mut gemacht, zu ihrer Humanität zu stehen und sich kraftvoll und zufrieden vom System der Zwangsschule psychisch zu emanzipieren. Viele Lehrer haben die Schule auch konkret verlassen – mit dem Bewußtsein, ihre humane Potenz so zu bewahren. Viele Eltern haben sich davon befreit, als Handlanger der Schule in Unfrieden mit ihren Kindern zu geraten. Und so unterstützt mein Buch damals wie heute die Erwachsenen, die das subtile fundamentale Unrecht der Schule wahrnehmen und sich ihm entgegenstellen, ein jeder auf seine Weise. Ich wünsche mir, dass es auch den Lehrern und Eltern in Serbien Mut macht, sich vom Griff der Schule auf ihre Seele zu befreien und den Frieden zu ihren Kindern zu bewahren. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer Schule mit menschlichem Antlitz.

Hubertus von Schoenebeck
2017