Vorwort zum Erscheinen der Serbischen Ausgabe meines Buches "Schule mit
menschlichem Antlitz"
Seit dem Erscheinen von „Schule mit
menschlichem Antlitz“ im Jahr 2001 sind viele Jahre vergangen. Hat
sich seitdem etwas verändert?
Die Lehrer sind engagiert und sie geben
sich viel Mühe. Sie wollen die Kindern „mitnehmen“, wie das so
heißt. Also statt zu dirigieren suchen sie den Konsens mit den
Kindern. Viele Kinder sind heute für diese konsensorientierte
Ansprache offen und machen das, was die Lehrer von ihnen wollen. Aber
es gibt in jeder Klasse auch eine Minderheit - mal kleiner, mal
größer -, die von den Lehrern nicht erreicht wird. Diese Kinder
verweigern sich introvertiert oder reagieren aggressiv. Diese
„schwierigen“ Kinder sind für die Lehrer, die heutzutage ja im
Konsens unterrichten wollen, sehr anstrengend, und da gibt es auch
keine gute Lösung und Burnout ist häufig die Folge ( etwa 30
Prozent der Lehrer).
Viele Eltern sind heute mit dem
öffentlichen Schulsystem unzufrieden, sie wollen mehr Achtsamkeit
und individuelle Förderung ihrer Kinder. Es gibt einen Boom an
Privatschulen. Diese
haben unterschiedliche Konzepte. Allen
ist gemeinsam, dass sie die Kinder auf den rechten Weg bringen wollen
– sanft, aber sehr zielorientiert.
Gibt es also mehr Luft zum Atmen für
die Kinder? Ja, die gibt es. Aber diese Luft ist ein krankes Gemisch
aus Achtsamkeit (gut!) und subtiler Manipulation (schlecht!). Über
ihr Lernen selbst bestimmen können die Kinder auch heute nicht, ihr
Menschenrecht auf Gedankenfreiheit können sie auch heute nicht
wahrnehmen. (Es gibt seltene Ausnahmen, z.B. „Demokratische
Schulen“, ca. 20 in Deutschland.)
Es hat sich also nichts am Fundament
der Schule geändert. Das pädagogische Lehrersein steht nach wie vor
im Gegensatz zum persönlichen Menschsein. Ich habe über die Jahre
viele Lehrer und Studenten kennengelernt, die an diesem Gegensatz
leiden und unermüdlich versucht haben, ihn zu überwinden. Aber die
Schulrealität fordert von den Lehrern, als Bildungsfunktionär die
Kinder zu bilden und zu formen. Der pädagogische Missionsauftrag ist
ungebrochen – und er überfordert weiterhin Lehrer und Schüler.
Mein Buch hat vielen Lehrern und Eltern
Mut gemacht, zu ihrer Humanität zu stehen und sich kraftvoll und
zufrieden vom System der Zwangsschule psychisch zu emanzipieren.
Viele Lehrer haben die Schule auch konkret verlassen – mit dem
Bewußtsein, ihre humane Potenz so zu bewahren. Viele Eltern haben
sich davon befreit, als Handlanger der Schule in Unfrieden mit ihren
Kindern zu geraten. Und so unterstützt mein Buch damals wie heute
die Erwachsenen, die das subtile fundamentale Unrecht der Schule
wahrnehmen und sich ihm entgegenstellen, ein jeder auf seine Weise.
Ich wünsche mir, dass es auch den Lehrern und Eltern in Serbien Mut
macht, sich vom Griff der Schule auf ihre Seele zu befreien und den
Frieden zu ihren Kindern zu bewahren. Dies ist der erste Schritt auf
dem Weg zu einer Schule mit menschlichem Antlitz.
Hubertus von Schoenebeck
2017