Freitag, 30. März 2018

Mein Weg zur Amication: Selbstliebe in der Familie









Mein Weg zur Amication: Im Post vom 27.3. habe ich dazu einen
ausführlichen Vorspann geschrieben, bitte dort nachlesen.

Ich habe die amicative Sicht auf die Kinder nicht irgendwie lernen
müssen, sonder es war vielmehr so, dass sie mich im Laufe meines
Großwerden nicht verlassen hat. Es gab viele Ereignisse in meinem
Kinderleben, die mich auf dem Pfad der Amication hielten und be-
schützten. So dass ich gar nicht erst von pädagogischen Strukturen
eingefangen werden konnte. Woran erinnere ich mich?

*

Selbstliebe in der Familie

"Ich liebe mich so wie ich bin" ist ein Fundament der Amication.
Der Glaube an sich, das Selbstwertgefühl, sich nichts (wirklich)
übelnehmen, mit sich im Reinen sein, zu sich stehen, sich in sich
selbst gut fühlen, usw. Ohne dabei ins Überhebliche oder Narziss-
tische abzugleiten. Mir hat einiges geholfen, den großen Gold-
schatz Selbstliebe nicht zu verlieren.

Wenn Väter Zeit für ihre Babys haben - dann kommt das gut, sagt
die Wissenschaft. Und mein Vater hatte viel Zeit. Er hatte damals
im Nachkriegsdeutschland keinen Job und verbrachte viel Zeit mit
seinen Kindern. Wie wohl alle Kinder erinnere ich mich daran, wie
es sich anfühlt, beim Vater auf dem Arm zu sein, so magisch-
geborgen, in tiefer Übereinstimmung mit mir und dem Großen. Es
kam ja nicht nur ab zu zu vor oder vor dem Schlafengehen, so wie
es ist, wenn der Vater von der Arbeit zurückkommt. Es war Konti-
nuität, eine große Verläßlichkeit, die mir da geschenkt wurde.

Hinzu kam, dass ich von der ganzen Familie, vor allem von den
Großeltern, besondere Aufmerksamkeit bekam. Meine große
Schwester war die Erstgeborene, was schon ein eigenes Gewicht
hat. Aber - und so waren die Verhältnisse damals halt -, in adeligen
Familien wie meiner wurde auf den Sohn gewartet, den Namens-
träger, der den Familiennamen einst weitergeben würde. Als das
zweite Kind, also ich, dann ein Sohn war, war das ein großes Ding!
Und ich wurde mit entsprechend großer und mein ganzes Kinder-
leben lang andauender Wertschätzung bedacht und entsprechend
golddurchwirkt behandelt.

Ich bin zwei, meine frühste Erinnerung. Ich liege im großen Bett
meiner Eltern. Ich wache auf und sehe zu meiner Mutter, sie ist
grade aufgestanden. Ich kuschele mich zurück in die Decke und
bin himmelhochglücklich. Mehr geht nicht!

Eines Tages ging es in den Kindergarten. Echt scheußliches Gefühl!
Ich erinnere mich gut und sehe noch die bunten Holzplättchen vor
mir, die ich zu Bildern auf ein Brett hämmern sollte. Nach drei Tagen
war das Elend vorbei, meine Mutter merkte, wie es mir ging und
holte mich nach Hause. Es gab keinen Kindergarten mehr, nie mehr,
und ich hatte meine vertraute und sichere Welt wieder. Die dunkle
Wolke über meinem Glück zog vorbei

Ich bin vier. Mein Vater nimmt mich mit zu den Teichen. Sie sind
durch Abflussrohre verbunden. Der Förster wartet auf uns. Schnell
ist klar, um was es geht: Unten im Schacht, da, wo das eine Rohr
mündet und das andere beginnt, sind Entenküken hinverirrt. Fünf
an der Zahl, braungelbe Federbällchen. Der Schacht ist zu schmal
für die Großen, er ist nur fürs Ausschaufeln gebaut. Ob ich? Mul-
miges Gefühl. Aber mein Varter ist da, und da kann ich nicken. Ich
werde also an den Armen in den Schacht gelassen. Es ist saueng
und unheimlich. Dann gebe ich Küken für Küken nach oben. Zum
Schluß bin ich dann dran und werde wieder hochgezogen. Die beiden
Großen sehen mich an, dass es eine Wucht ist. Und wie stolz mein
Vater auf mich ist. Ich bin mächtig gut drauf!

"Ich lass nicht los." Unser Hausmädchen hielt mich hinten am Rad
fest, mit fünf machte ich erste Radfahrversuche. Ich drehte mich
nach ihr um - und da stand sie zehn Meter hinter mir und freute
sich: sie hatte losgelassen und mich fahren sehen. Ein riesiger
Schreck fuhr mir in die Glieder. Aber sofort auch: Freude! Ich
kann fahren! Allein! Eine große Zufriedenheit zog in mich, alles
war gut. 

Ich bin Fünf. "Macht die Tür auf!" Meine Geschwister und unser
Hausmädchen denken nicht daran. Weiß der Geier, was los ist.
Jedenfalls soll ich nicht ins Kinderzimmer. Ich stehe im Flur, Mutti
und Vater sind nicht da, ich finds nicht komisch. Gar nicht. Ich gehe
in den Keller zum Holzstapel. Nehm die Axt, marschier nach oben,
und nach drei Hieben in die Tür wird verschreckt aufgemacht. Die
Einschläge in der Tür sehe ich heute noch, schräg nach links oben.
Ich bin zufrieden, mit mir im Reinen und kann ins Kinderzimmer.

Als ich die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium bestanden hatte
(gab es damals wirklich), nahm mich mein Vater die restlichen
sechs Wochen bis zu den Ferien aus der Schule. "Der hat jetzt
genug gelernt." Die Rektorin hatte nichts dagegen, und ich fühlte
mich wie im siebten Himmel. Selbstliebe, was willst Du mehr?
Es wurden wunderschöne Ferien mit viel Schnee bei meinen
Großeltern.

Mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, hielt immer irgendie
zu uns Kindern. Das war ein wirklich gutes Gefühl: von einem
Erwachsenen so gesehen und behandelt zu werden. Ich durfte
mit ihm zur Jagd gehen, eine extreme Auszeichnung. Da saß
ich dann mt ihm auf dem Hochsitz und lauschte in die Natur.
Und ich bekam dann auch mit, wieviel Achtung er dem Keiler
entgegenbrachte, den er dann schoss. Es war mit ihm ein
Wandern in der Wertschätzungswelt.

Auch die Schwestern meiner Mutter hatten eine grundlegende
Achtung uns Kindern gegenüber. Es ist für mich immer eine
schwierige Sache gewesen, allein bei Verwandten zu sein.
Aber dann kam sie eben, die Wertschjätzung, bedingungslos.

Als ich einmal in den Ferien bei meiner Tante auf dem Gutshof
war und dort zur Schule gehen sollte (weil es außerhalb der Ferien
war), da sagte die Haushälterin in der Küche einen Satz, den ich
mein Leben lang nicht vergessen habe: "Ach was! Was muss er
denn hier zur Schule gehen!" Sie hielt zu mir und meinen Träu-
men. Und die drei Wochen Schule in fremden Landen ließen sich
gut überstehen.

In der Pubertät hat es jede Selbstliebe schwer. Bei mir lief es
wieder gut: Ich war ein Ass in der Leichtathletik, wurde mit 16
Jahren Deutscher Vizejugendmeister über 100 Meter in wirklich
guten 10,7 Sekunden. Der Weltrekord lag damals bei 10,0. Die
vielen Wettkämpfe mit sehr guten Zeiten brachten eben auch viel
Anerkennung. Und wieder war es mein Vater, der mich gut ge-
launt von Wettkampf zu Wettkampf fuhr, nie enttäuschr war,
wenn es nicht gut ausging und sich freute, wenn ich gewonnen
hatte. Ich erinnere mich, dass mir die Anerkennung von allen
Seiten (Bild-Zeitung: "Schnellster Baron Deutschlands!") ziem-
lich übertrieben vorkam, ich war eben einfach gut und fertig.
Aber es hat mich natürlich in dieser schwierigen Lebensphase
gestützt.

Meine erste Freundin hatte ich mit 16. Wir waren dann über zehn
Jahre ein Paar und hielten wie Pech und Schwefel zusammen. Wie-
der so Goldregen. Wir waren sehr anantgardistisch unterwegs und
trauten uns weit vor, getragen von der Kontinuität unserer Beziehung.
Und darunter liegend das Spüren unseres Werts, unserer Wertschät-
zung und Zuneigung.

Als ich 17 war, fragte mich unser Direx, ob ich mitten in der Schul-
zeit an einem 14tägigen Philosophie-Seminar teilnehmen wollte. Er
war unser Philosophielehrer, und das kam aus heiterem Himmel. Es
war eine große Auszeichnung, auch die Klassenkameraden und meine
Eltern waren verblüfft. Wieso ausgerechnet ich? Er hatte eben in mir
etwas erkannt, und das förderte er. Klar hab ich da ja gesagt, es war
eine wunderschöne Auszeit.

Als ich Anfang 20 das Studium wechselte und heiraten wollte, war
mein Vater wahrlich nicht begeistert. Ich überraschte ihn damit eines
Tages. Es war ihm alles nicht recht, ich sollte mit dem Jurastudium
durchhalten, und das Heiraten war auch noch nicht dran. Keine gute
Stimmung! Das ganze Ungemach ging aber nicht lange, schon am
übernächsten Tag stand er voll auf meiner Seite. Braucht man als
Twen noch die Wertschäthzung seines Vaters? Ich war ja drauf und
dran, den Weg auch ohne ihn zu gehen. Aber mit seiner Zustimmung
fühlte sich das doch ganz anders an! Es war enfach schön, und wieder
wusste ich mich gestützt und getragen.

Anfang 30 ging es mit der Amication (damals Antipädagogik) los. Das
war ja wirklich nichts für in der Tradition verwurzelte Menschen. Aber
meine Mutter fand das alles sehr spannend. Und mein Vater: Diese neue
Ideenwelt, mit der ich da unerwegs war, fand der hoch interessant. Er
er schrieb einen Brief an seine vielen Geschwister: dass man doch offen
sein sollte für neue Ideen, dass man doch einach mal zuhören sollte, was
ich zu sagen hätte. Das hat mich schwer beeindruckt, denn ich wusste
um die konservative Haltung meiner Tanten und Onkel. Es war wieder
so ein Goldüberschütten wie bei Goldmarie im Märchen.